Die Zahl der Menschen, die Humanitäre Hilfe benötigen, ist in den letzten 10 Jahren stetig gestiegen. Die zunehmende Anzahl und Intensität von Extremwetterereignissen, verstärkt durch den Klimawandel, sind im Zusammenspiel mit anderen Faktoren für diesen Anstieg mitverantwortlich. Extremwetterereignisse stellen insbesondere die Menschen in Entwicklungsländern vor enorme Herausforderungen. Gleichzeitig können klima- und wetterbedingte Risiken allerdings auch besser vorhergesagt werden. Klimaforscher und Wetterexperten sind heute in der Lage auf Grundlage von Vorhersagen die Eintrittswahrscheinlichkeit von klima- und wetterbedingte Extremereignissen für bestimmte Regionen bis zu 6 Monate im Voraus zu bestimmen. Das heißt, dass bei einer entsprechenden Operationalisierung dieser wissenschaftlicher Informationen Tage, Woche oder gar Monate für eine effizientere und effektivere humanitäre Reaktion zur Verfügung entstehen. 

Bereits 2014 hat das Auswärtige Amt  ein Maßnahmenpaket zur humanitär-geprägten Anpassung an den Klimawandel verabschiedet mit dem Ziel, die Wirksamkeit und Effizienz der internationalen humanitären Hilfe zu erhöhen und einen Paradigmenwechsel hin zu vorausschauender humanitären Hilfe („anticipatory humanitarian action“) herbeizuführen. 

Die Umsetzung des Maßnahmenpakets erfolgte durch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in enger Zusammenarbeit mit der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRK) und dem Klimazentrum der der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (RCCC). Zentrale Partner waren dabei u.A. das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) sowie das Büro für die Koordinierung der humanitären Hilfe (OCHA).

Ein zentrales Ergebnis des Maßnahmenpakets war die Entwicklung von Forecast-based Financing (FbF). FbF ist ein spezifischer Ansatz vorausschauender humanitärer Hilfe. Auf Grundlage von wissenschaftlich fundierter Risikoanalysen und Extremwetterwarnungen werden bei Erreichen eines gewissen Schwellenwertes automatisch Finanzmittel bereitgestellt, die es humanitären Hilfsorganisationen ermöglichen, bereits vor Eintreten einer drohenden Katastrophe Unterstützung zu leisten. Die Schwellenwerte und dazugehörigen Vorsorgemaßnahmen werden im Rahmen von Notfallprotokollen („Early Action Protocols“, EAP) bereits im Vorfeld festgelegt. Ziel von FbF ist es, drohende humanitäre Bedarfe bereits vor Eintreten des Extremereignisses zu reduzieren.

FbF wurde zunächst im Rahmen kleiner Pilotprojekte gemeinsam mit den Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften in Togo und Uganda entwickelt. Nach der erfolgreichen Entwicklung der FbF-Methodik wird der FbF-Ansatz zur Zeit mit finanzieller Unterstützung des AA weiter entwickelt und auf breiterer Basis eingesetzt. So fördert das AA aus Mitteln der humanitären Hilfe seit 2015 bspw. das WFP sowie die Welthungerhilfe (WHH) im Bereich der vorhersagebasierten humanitären Hilfe.

Angesichts seines innovativen und bedeutenden Potenzials  zur Verbesserung der internationalen humanitären Hilfe arbeiten das DRK, die IFRK und das RCCC nicht zuletzt dank finanzieller Unterstützung des AA seit 2016 mit immer mehr nationalen Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften an der Umsetzung und Weiterentwicklung von FbF in und für verschiedene Kontexte. Mittlerweile haben weltweit 30 Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (Stand September 2021) mit der Umsetzung von FbF begonnen.

Im Mai 2018 richtete IFRK mit finanzieller Unterstützung des AA den "Forecast-based Action by the DREF" ein, ein spezifischer Finanzierungsmechanismus für FbF im IFRK Katastrophennothilfefond („Disaster Relief Emergency Fund“, DREF). Auf der Grundlage vorab entwickelter Kriterien und Verfahren können einzelne Nationalgesellschaften der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung im Katastrophenfall Mittel für Maßnahmen vorausschauender Hilfe bereitgestellt werden.

 Darüber hinaus wurde mit Unterstützung des AA der Anticipation Hub entwickelt, eine virtuelle Wissens- und Vernetzungsplattform für Akteure der vorausschauenden humanitären Hilfe. Der Anticipation Hub hält zahlreiche Informationen, Ressourcen und weiterführende Links rund um das Thema vorausschauende humanitäre Hilfe bereit. So wurde beispielsweise eine globale Übersicht aller Vorhaben im Bereich der vorausschauenden humanitäre Hilfe inklusive eigener Länderseiten erstellt, eine Datenbank zu „Early Actions“ (frühzeitigen Maßnahmen, das heißt Maßnahmen die ergriffen werden können, um eine mögliche Katastrophe zu verhindern und/oder Leid zu mindern) entwickelt, sowie Guides und Trainingsmaterial zur Entwicklung vorausschauender humanitärer Hilfe wie FbF bereitgestellt. Der „Anticipation Hub“ wird von rund 80 Partnern unterstützt (Stand: September 2021). Partner umfassen Akteure der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung, (internationale) Nichtregierungsorganisationen, Akteure der VN, Universitäten, Forschungsinstitute, Regierungen, Geber sowie (multilaterale) Netzwerkinitiativen. Der „Anticipation Hub“ ist zudem Ausrichter der jährlich stattfindenden regionalen and globalen Dialogplattformen für vorausschauende humanitäre Hilfe, die ebenso vom AA gefördert werden. Die Dialogplattformen haben den Zweck das Netzwerk der im Bereich vorausschauender humanitärer Hilfe tätigen Akteure enger zusammenbringen und so zu dem Wachstum hin zu einem vorausschauenden humanitären System beizutragen.

Als wichtige Komponente der humanitären Katastrophenvorsorge fordert und fördert das AA eine humanitäre Hilfe, die über die Reaktion auf Krisen und Katastrophen hinaus auch antizipierend handelt, damit potenzielle Krisen und Katastrophen durch eine verbesserte Frühwarnung möglichst frühzeitig erkannt und drohendes Leid durch vorausschauendes Handeln vermieden oder zumindest reduziert werden kann. Vorausschauende humanitäre Hilfe und vorhersagebasierte Finanzierungen sind folglich Kernelemente der humanitären Katastrophenvorsorge und der humanitären Hilfe.